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tahāra heißt Reinheit

Autorenbild: Monika BremerMonika Bremer

Im Rahmen unserer Recherchen zum Thema weibliche Genitalverstümmelung treffen wir Aktivistinnen, Frauenärztinnen und einen Friseur in der Totenstadt, der seinen Lebensunterhalt mit Beschneidungen verdient. Heute offiziell nur noch bei Jungen und nicht mehr bei Mädchen. Denn die Beschneidung von Frauen ist seit 2008 in Ägypten offiziell verboten und steht seit 2017 verstärkt unter Strafe. Die Genitalverstümmelungen, und anders kann man Beschneidungen von Mädchen auch nicht bezeichnen, gehen auch tatsächlich zurück, bestätigt beispielsweise die UNFPA Ägypten - aber nicht in dem Tempo, in dem es notwendig wäre. Laut Zahlen der UNFPA Ägypten waren im Jahr 2022 noch 87 % aller Frauen zwischen 15 und 19 Jahren beschnitten.


„tahāra“ (طهارة) heißt Reinheit


Im Wesentlichen gibt es drei Formen der Beschneidung. Die leichteste Form, Stufe 1, ist das Anritzen der Klitoris beziehungsweise die Entfernung der Klitorsivorhaut, vergleichbar mit der Beschneidung bei Jungen. Die gängigste Form in Ägypten ist jedoch mit der Stufe 2 das Entfernen der Klitoris, mit oder ohne Entfernung der Schamlippen. Die dritte Stufe, das Zunähen der Vagina, ist eher in südlicheren Ländern entlang des Nils üblich, weniger in Ägypten. Traditionell werden Frauen in Ländern entlang des Nils beschnitten, Ägypten, Sudan, Somalia. Es soll eine pharaonische Tradition sein. In den ländlichen Gegenden werden die Beschneidungen von den sogenannten Dayas, den traditionellen Geburtshelferinnen, vorgenommen. In der Stadt ist es oft üblich, dass Ärzte oder medizinisches Personal den Eingriff vornehmen. Lange war die Beschneidung noch dann erlaubt, wenn sie medizinisch notwendig war. Viele Ärzte verdienten damit ein gutes Zubrot. In Kairo in der Totenstadt konnte man, wie schon erwähnt, aber auch einfach zum Friseur damit gehen.


Aufrecht erhalten wird die weibliche Beschneidung sowohl durch die Familien als auch die Religionen. In konservativen Teilen Ägyptens dient die Beschneidung als Mittel, um die sexuelle Reinheit der Mädchen zu bewahren. Bis zur Ehe soll durch die Beschneidung das sexuelle Verlangen der Mädchen gezügelt und sichergestellt werden, dass sie als Jungfrau in die Ehe gehen. Die Jungfräulichkeit der Töchter ist in ländlichen und patriarchisch geprägten Milieus entscheidend für den Ruf der Familie. Die Beschneidung geht einher mit der Vorstellung von Reinheit und Sittlichkeit. Eltern denken, durch die Beschneidung könnten sie die sexuelle Haltung der Töchter in die für sie passende Richtung lenken. Die Ehemänner unterstützen diese Vorgehensweise, weil die Beschneidung angeblich auch vor Unzucht, also Untreue in der Ehe, schützen soll.


Während aus westlicher Sicht diese Praktiken gegen jegliche Menschenrechte verstoßen und ausschließlich der Unterdrückung der Mädchen und Frauen dienen, gibt es in der Umgangssprache Ägyptens sogar einen üblichen Begriff dafür: tahāra (طهارة) - übersetzt „Reinheit". Der Begriff wird im Islam eigentlich für rituelle Reinheit verwendet, beispielsweise für die Waschungen vor dem Gebet. Dass im Sprachgebrauch dieser Begriff auch für die weibliche Beschneidung genutzt wird, zeigt, dass auch die Religion eine Rolle bei der Genitalverstümmelung spielt.


Weder die koptisch orthodoxe Religion noch der Islam liefern eine Grundlage für FGM (Female Genital Mutilation - Weibliche Genitalverstümmelung). In einer stark religiös geprägten Gesellschaft werden Traditionen oft mit dem Glauben verknüpft, um ihnen Autorität zu verleihen. Sobald eine Praxis als religiös legitimiert erscheint, wird sie seltener hinterfragt. Viele Eltern fühlen sich dadurch in ihrer Entscheidung moralisch bestätigt, weil sie glauben, dass die Beschneidung im Einklang mit göttlichen Geboten steht – auch wenn diese Annahme auf einem Missverständnis beruht. In vielen ländlichen Regionen Ägyptens gab es lange keine klare Ablehnung von FGM durch religiöse Autoritäten, was den Eindruck verstärkte, die Praxis sei nicht nur erlaubt, sondern möglicherweise sogar erwünscht. Erst in den letzten Jahren haben gezielte Aufklärungskampagnen begonnen, Imame und Priester in die Debatte einzubinden, um klarzustellen, dass FGM keine religiöse Verpflichtung ist. Dennoch zeigen Untersuchungen, dass viele Frauen weiterhin überzeugt sind, die Praxis sei religiös begründet – insbesondere in bildungsfernen Schichten ist dieser Glaube noch weit verbreitet.


Die UNFPA Ägypten hat untersucht, wie viele Frauen sich selbst gegen die Fortsetzung der Beschneidung aussprechen. In urbanen Gegenden sind es immerhin 46 % aller Frauen, in ländlichen Gegenden jedoch nur 24 %. Bersha bei Minya in Mittelägypten war eines der ersten Dörfer, in denen ein breiter gesellschaftlicher Wandel gegen FGM sichtbar wurde – angestoßen von den Dayas selbst. Dies machte den Ort zu einem Modellfall für ähnliche Kampagnen in anderen ländlichen Gegenden.


Offizielle Ablehnungen von FGM durch den Staat oder religiöse Institutionen gab es bereits früher, aber die Besonderheit in Bersha war, dass die Ablehnung aus der Mitte der Gemeinschaft kam und nicht von außen aufgezwungen wurde. In Ägyptens ländlichen Gebieten sind Dayas traditionell für Schwangerschaften, Geburten und oft auch für FGM zuständig. Da viele Familien den Dayas vertrauen, hatte ihre Entscheidung, die Praxis abzulehnen, eine starke Signalwirkung. Anstatt staatlichen Gesetzen zu folgen, vertrauten die Menschen auf das Urteil dieser Frauen, die bisher die Eingriffe vorgenommen hatten. Zahlreiche Aktivistinnen, NGOs, Aufklärungskampagnen - auch international beispielsweise von PLAN International - tragen dazu bei, dass FGM auch in Ägypten nach und nach zurückgeht. Dennoch leben geschätzt immer noch mehr als 80 % aller Frauen in Ägypten mit der Beschneidung.


Im Rahmen unserer Recherche treffe ich Mimi


Während Aktivistinnen über das Thema FGM zwar auf Konferenzen und online aufklären, bleiben Sexualität und Intimität in Ägypten aber weiterhin kein öffentliches Thema, erst recht nicht gegenüber Fremden. Um ein tieferes Verständnis für die persönlichen Folgen von FGM zu gewinnen, treffe ich Mimi und Aya, zwei Frauen, die ihre eigene Geschichte mit mir teilen. Während mir Aya etwas fremd bleibt, fühlen Mimi und ich uns vom ersten Treffen an miteinander wohl und wir sprechen auf freundschaftlicher Ebene.


Als ich auf Mimi warte, stelle ich mir vor, wer sie wohl sein wird. Eine Frau aus Upper Egypt, aufgewachsen in einer konservativen Gesellschaft – in meinem Kopf entsteht das Bild einer traditionellen „Umm“. So werden viele Frauen hier genannt, nicht bei ihrem eigenen Namen, sondern als „Mutter von“ ihrem ältesten Sohn: Umm Youssef, Umm Ali, Umm Mohammed. Ihre eigene Identität wird oft der Mutterschaft untergeordnet. Diese Frauen erkennt man an ihren schwarzen Galabeyas, den traditionell gebundenen Kopftüchern, an ihrer ruhigen, zurückhaltenden Art.


Doch als Mimi schließlich kommt, löst sich dieses Bild in Sekunden auf. Sie trägt moderne Kleidung, ihre langen braunen Haare fallen offen über die Schultern, ihr Lachen ist ansteckend, ihre Energie sofort spürbar. Für unser zweites Treffen haben wir uns dann Zamalek ausgesucht, das Restaurant, in dem wir regelmäßig unser Teamtreffen haben. Mimi hätte locker zu uns ins Team gepasst. Und damit war sie meiner Welt dann plötzlich sehr nah. Und doch hat sie eine Geschichte, die von tiefen Wunden, von Widerstand und von einem Leben im Spannungsfeld zwischen Tradition und Selbstbestimmung erzählt.


Mimi kann nicht Umm irgendwer genannt werden. Sie war verheiratet, ist aber noch Jungfrau. Ich frage mich, wie das denn bitte funktioniert haben soll, traue mich aber nicht zu fragen. Inzwischen ist sie geschieden, aber nur zivil vor Gericht. Bei den koptisch orthodoxen Christen ist eine Scheidung grundsätzlich nicht vorgesehen, und schon gar nicht, wenn sie von einer Frau ausgeht. Für Ägypten hätte sie zwei Fehler, sagt sie mir - sie sei ein christliches Mädchen. Derzeit versucht sie, einen Wohnraum zu finden, in dem sie in Frieden leben könne. So einfach sei das nicht, erklärt sie mir. Bei den Christen sei eine Scheidung grundsätzlich nicht möglich. Bei den Muslimen nur dann, wenn ein Ehepartner den anderen betrogen hätte. Wenn sie also alleine irgendwo ohne Familie wohne, dann kämen Fragen und Tuscheleien. Und sie würde umgehend verurteilt.


Aufgewachsen ist Mimi in Upper Egypt, in Assuit. Sie ging auf eine katholische Mädchenschule. Zum Studieren und Arbeiten kam sie nach Kairo. Nach außen hin lebt sie ein normal bürgerliches Leben. Sie erzählt aber, dass alle Frauen, denen die Beschneidung zugemutet wurde, mit einem Trauma leben. Acht von zehn, sagt sie, seien in Ägypten betroffen. Mimi zählt fünf Dinge auf, die in diesem Land Einfluss auf die Beschneidung hätten. Natürlich die Ehre und Tradition der Familie und die Religion wie oben ausgeführt. Hinzu käme aber die persönliche Situation, welche die Frauen ein Leben lang begleiten. Zum einen ist es das Selbstbewußtsein, dass ihnen mit der Beschneidung genommen wird.


Es ist eine beschämende Situation, als junges Mädchen vor einer Daya oder gar vor einem fremden Mann die Beine öffnen zu müssen. Die Mädchen erleben den Eingriff oft als einen Moment der absoluten Machtlosigkeit – sie müssen sich einem schmerzhaften und nicht einvernehmlichen Ritual unterwerfen, das von ihrer Familie oder Gemeinschaft als notwendig dargestellt wird. Die Mädchen, die in der Regel jünger als zwölf Jahre alt sind, sind in ihrem Selbstbild noch stark formbar. Durch die Beschneidung erhalten die Mädchen oft das Gefühl, ihr Körper gehöre zum Einen nicht ihnen, sondern der Gemeinschaft. Zudem sei er fehlerhaft und müsse korrigiert werden, damit er für die Gesellschaft akzeptabel sei.


Die Familien meinen oft, dass die Mädchen danach besonders sittlich seien. Mimi erzählt aber auch, dass einige dieser Mädchen dann besonders schnell für sexuelle Handlungen offen seien. Denn Traumata äußern sich bei verschiedenen Menschen unterschiedlich. Während einige sich aus Angst oder Scham weiter unterwerfen, entwickeln andere eine entgegengesetzte Reaktion und versuchen, sich das zurückzuholen, was ihnen genommen wurde. Manche Frauen suchen sich sexuelle Beziehungen, um ein Gefühl der Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper zu gewinnen – selbst wenn dies oft unbewusst geschieht.


Die Traumata bleiben ein Leben lang


Eine gestörte Sexualität ist dann auch Punkt zwei, den Mimi als persönliches Trauma bezeichnet. Sie selbst ist wie gesagt noch Jungfrau. Aber es ist aus zahlreichen Studien bekannt, dass die anatomischen Veränderungen, die bei der Beschneidung vorgenommen werden, zu erheblichen Beeinträchtigungen während des Sexualverkehrs führen können. Die Verengung der Vaginalöffnung oder auch Vernarbungen führen zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Wurden die Nerven beim Beschneiden verletzt, dann wird der Frau die Möglichkeit genommen, sexuelle Lust zu empfinden. Häufig leiden die Frauen an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Oft haben die Frauen Flashbacks an den Eingriff, Panikattacken oder Angstzustände, wenn sie in eine sexuelle Situation kommen. Und selbst, wenn sich der Körper anpassen kann, bleibt oft die tief verwurzelte Angst, dass Sex immer mit Schmerzen verbunden ist. Weil die Beschneidung gegen ihren Willen durchgeführt wurde, fühlen sie ihren Körper und die Sexualität nicht als etwas, über das sie bestimmen können, sondern als etwas, was ihnen genommen wurde.


Der dritte wesentliche Punkt bei einer Beschneidung, so Mimi, sei der Verlust des Vertrauens in die eigene Familie. Der Raum und die Menschen, die einem Mädchen Geborgenheit und Sicherheit geben sollten, zwingen sie in eine Situation, in der das Mädchen zutiefst verletzt wird - körperlich und seelisch. Viele betroffene Frauen fühlen sich ihrer Familie entfremdet und haben später Schwierigkeiten, enge Beziehungen aufzubauen. Besonders in Partnerschaften fällt es ihnen schwer, sich zu öffnen, weil sie gelernt haben, dass selbst die engsten Bezugspersonen sie verletzen können. Hinzu kommt das gesellschaftliche Tabu, das sie oft zwingt, ihre Gefühle zu unterdrücken. Der durch FGM verursachte Vertrauensbruch reicht weit über den Moment des Eingriffs hinaus. Er beeinflusst das gesamte soziale und emotionale Leben der Betroffenen und macht es schwer, gesunde Bindungen aufzubauen.


In ihrer Familie ist es so, dass ihre eigene Mutter beschnitten ist und wie allen anderen darunter leidet. Und dennoch darauf bestand, dass Mimi auch beschnitten wird. Sie wollte damit ihren Töchtern die Ehre und den Respekt geben, der von der Gesellschaft gefordert ist. Während ihre eigene Mutter keine umfassende Bildung erhielt und ihre Tochter beschneiden ließ, engagierte sie sich andererseits für eine gute Bildung ihrer Töchter.


Aya, unsere zweite Gesprächspartnerin, kommt zu unserem ersten Treffen hinzu. Sie ist Fotografin und hat während Corona begonnen, ihre eigene Beschneidung für einen Film zu thematisieren. Sie will damit ihr eigenes Traum verarbeiten. Aya hat eine Zeit lang in Deutschland gelebt und hatte dort auch sexuelle Beziehungen. Im letzten Sommer hat sie einen Eingriff vornehmen lassen, den Mimi nicht nachvollziehen kann. In einem Krankenhaus in Mohandessin, einem mittelständischen Stadtteil Kairos, gibt es ein Krankenhaus, das beschnittene Frauen behandelt. Oft werden dort Sudanesinnen behandelt, die beispielsweise unter starken Blutungen oder Infektionen leiden. Im Sudan würden die Beschneidungen nicht so sauber durchgeführt, lerne ich. Aya hat dort eine Operation zur Wiederherstellung ihrer Vagina durchführen lassen. Wie genau der Eingriff bei Aya ablief, weiß ich nicht, und sie selbst spricht nicht darüber. Ihre Familie darf davon auch nichts erfahren. Ob es sich um eine medizinische Rekonstruktion handelte, die darauf abzielte, körperliche Funktionen wiederherzustellen, oder ob der Eingriff eher symbolischen Charakter hatte, bleibt unklar. Sie betont jedoch, dass es für sie darum ging, die Kontrolle über ihren eigenen Körper zurückzugewinnen – unabhängig davon, was medizinisch tatsächlich möglich war.


Aya ist in einem komplett weiblich dominierten Haus in Alexandria aufgewachsen mit Mutter und Großmutter. Was die Großmutter gesagt hat, wurde gemacht. Ich frage Aya, wie denn die Männer ihrer Familie zum Thema Beschneidung stünden, erzählt sie mir, dass es ihr eigener damals 17-jähriger Bruder war, der auf die Beschneidung bestand. Für die Ehre der Familie. Die Sicht ägyptischer Männer auf FGM ist grundsätzlich gespalten und hängt stark von Bildung, sozialem Umfeld und religiösem Einfluss ab. In konservativen Kreisen wird die Beschneidung oft als notwendige Maßnahme angesehen, um die Keuschheit der Frau zu bewahren und die Familienehre zu schützen. Viele Männer, insbesondere in ländlichen Gebieten, erwarten von potenziellen Ehefrauen, dass sie beschnitten sind – aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung oder weil sie glauben, dass es weibliches Verlangen kontrolliert.


Als Ausländerin in Kairo bekomme ich ganz andere Auswirkungen dieser gesellschaftlichen Situation mit. Das Verhalten vieler ägyptischer Männer gegenüber westlichen Frauen steht oft im Widerspruch zu den strengen Traditionen, die sie innerhalb ihrer eigenen Kultur aufrechterhalten. Während sie von Frauen in ihrer Gesellschaft Keuschheit und Zurückhaltung erwarten, nicht zuletzt durch die Praxis der Beschneidung, suchen sie bei westlichen Frauen genau das Gegenteil: Freiheit, Sinnlichkeit und die Fähigkeit, Lust zu empfinden. Diese Doppelmoral zeigt sich besonders im Straßenbild Kairos. Viele Männer starren unverhohlen, rufen Frauen hinterher oder verfolgen sie mit Blicken – ein Verhalten, das in der eigenen Kultur als respektlos oder unsittlich gelten würde.


Die Faszination für westliche Frauen hat viele Gründe. Zum einen werden sie oft mit Wohlstand und einer Möglichkeit zur Auswanderung verbunden, zum anderen sind sie in den Augen mancher Männer begehrenswerter, weil sie nicht beschnitten sind und dadurch sexuelles Vergnügen empfinden können. Diese Wahrnehmung führt zu einem paradoxen Umgang. Während viele Männer sich wünschen, dass ihre Ehefrauen sittsam sind, zeigen sie gegenüber westlichen Frauen ein ganz anderes Verhalten.


Aber auch in Ägypten gibt es Männer, die sich aktiv gegen weibliche Genitalverstümmelung einsetzen. Einer der bekanntesten ist der ehemalige Großmufti des Landes, Alī Dschumʿa. Er verurteilte die Praxis öffentlich als Akt der Gewalt und betonte, dass sie die Würde und Integrität der betroffenen Frauen verletze. Bereits 2006 spielte er eine zentrale Rolle bei einer internationalen Konferenz an der al-Azhar-Universität in Kairo. Dort verabschiedeten islamische Gelehrte eine Fatwa, die FGM als nicht mit den Grundsätzen des Islam vereinbar erklärte – ein bedeutender Schritt, um der Praxis auch aus religiöser Perspektive die Legitimation zu entziehen.


Mimi sieht Ayas Operation kritisch


Sie meint, Aya würde immer noch den Eindruck machen, dass sie leide und kein zufriedener Mensch sei. Weil sie mit der Wiederherstellung ihrer Sexualität nur einen Bruchteil des eigentlichen Problems gelöst hätte. Mit einer Operation könne das Selbstvertrauen nicht wieder hergestellt werden und auch nicht das Vertrauen in die eigene Familie. Auch hätte ihre persönliche Veränderung keine Auswirkung auf die Einstellung der Familie und der Trailer zu ihrem Film zeige nur das Leid und keine Lösung.


Mimi macht deutlich, dass es nicht darum geht, die eine oder andere Geschichte zu erzählen. Es beträfe fast alle Frauen in Ägypten und alle hätten die gleichen Traumata. Das einzige, was hilft, sei Aufklärung und Information. Sie ist eine von fünf Schwestern. Sie und eine Schwester seien beschnitten, die anderen drei Schwestern nicht. Weil sie mit der Mutter und der Großmutter gesprochen hätte und die Beschneidung verhindert hätte. Doch das Trauma der vorherigen Generationen bleibt präsent. Ihre Tante sei inzwischen 80 und leide immer noch unter den Folgen ihrer eigenen Beschneidung.


FGM ist in Ägypten nicht nur ein körperlicher Eingriff, sondern eine tief verwurzelte soziale Norm, die über Generationen weitergegeben wurde. Während die Praxis offiziell verboten ist und in Städten langsam zurückgeht, bleibt sie besonders in ländlichen Gebieten eine Realität für Millionen von Frauen. Ihre Folgen reichen weit über die physische Verstümmelung hinaus – sie beeinflussen das Selbstbild, die Sexualität und das Vertrauen in die eigene Familie.


Mimi und Aya zeigen zwei unterschiedliche Wege, mit diesem Trauma umzugehen: Während Mimi sich auf Aufklärung konzentriert und es als ihre Mission sieht, Frauen über die langfristigen Folgen von FGM zu informieren, hat Aya durch eine medizinische Rekonstruktion versucht, ihre eigene Geschichte neu zu schreiben. Doch beide eint die Erkenntnis, dass FGM nicht nur eine individuelle Tragödie ist, sondern eine gesellschaftliche Struktur, die dringend durchbrochen werden muss.

Die Tatsache, dass Mimi durch Gespräche verhindern konnte, dass ihre jüngeren Schwestern beschnitten werden, zeigt, dass Veränderung möglich ist – nicht durch äußeren Druck, sondern durch Bewusstseinsbildung innerhalb der Familien selbst. Solange Frauen ihre eigene Stimme finden und beginnen, gegen die jahrhundertealten Traditionen zu sprechen, gibt es Hoffnung, dass eines Tages keine Mädchen mehr unter dieser Gewalt leiden müssen. Und wie so oft liegt der Schlüssel dazu in Bildung und Aufklärung.


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Monika Bremer • Al Borsa Al Gadida | Kairo
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